Familien­kolumne

Ich. Mutter.

Das Zusammenleben in einer Familie ist wundervoll – und eine Heraus­forderung. Denn die Vorstellungen von Eltern und Kindern gehen zuweilen erheblich auseinander. Für das Kunden­magazin von Stada „alles gute für dich“ haben wir eine Familien­kolumne entwickelt, in der wir die kleinen, aber explosiven Themen des Alltags auf's Korn nehmen. Feste Bestandteile: Mutter, Vater, die Kinder Julia, Lisa und Konstantin sowie jede Menge Alltagszündstoff.

Für MPM2, Mainz.

Familien­kolumne | Stada 2017 (03)

Ansichtssache

Aufräumen gehört zu den Top-Streitthemen zwischen Kindern und Erwachsenen. Eine Messlatte für Ordnung gibt es aber nicht. Deshalb muss sich jede Familie auf ihrem eigenen Ordnungs­niveau zusammenraufen. Leicht ist das nicht.

„Puh!“ Ich habe die Tür zu Lisas Zimmer geöffnet. Keine Reaktion. Ich versuche es noch mal. Lauter, ausdrucks­stärker. „PUHH!“ Lisa liegt auf ihrem Bett und blickt kurz von ihrem Handy auf: „Was heißt Puh?“ Sie schaut wieder ihr Handy an. Ich wähle meine Worte mit Sorgfalt. „Hier riecht es schlecht.“ „Was heißt, hier riecht es schlecht?“, fragt sie – jetzt tippend. Blöde Frage, aber ich bleibe freundlich. Pädagogisch wertvoll sozusagen. „Das heißt, dass es hier nicht gut riecht.“ Lisa schaut mich jetzt fragend an. Na gut, sie will es nicht anders: „Es stinkt!“ Und um Zweifel und Hörprobleme aller Art auszuschließen, lege ich nach: „Es stinkt total in deinem Zimmer.“ Lisa bleibt unbeeindruckt. „Echt? Findest du?“ – Unglaublich, diese Nervenstärke. „Das finde ich nicht, das ist so. Man kann sogar sehen, dass es stinkt!“ Ich deute erst auf den Schreibtisch, auf dem sich schmutziges Geschirr mit widerlichen Essensresten türmt. Auf dem Fußboden mischen sich gebrauchte Socken, Schulbücher und ver­schwitzte Sport­shirts, ein leeres Deo-Spray und eine Brotbox, die ich mindestens seit drei Wochen suche. Und irgendwo da mitten­drin liegt zu allem Überfluss ein kleiner Stapel saubere und einstmals gefaltete Wäsche. Hat mir die nie enden wollende Wäscheflut meiner Familie nicht erst vorgestern wieder den Fernsehabend „versüßt“? Und jetzt fliegt meine mühevolle Arbeit hier achtlos zwischen Schimmel und Gammel herum! Ich reiße mich zusammen und schlucke den aufwallenden Zorn herunter: Klar und sachlich bleiben ist die Devise. „Es wäre geradezu ein Wunder, wenn es hier nicht stinken würde. Dein Zimmer ist eine Müllhalde. Nutze bitte die Zeit vor dem Abend­essen und räum auf.“ – „Hm.“ Lisas Handy brummt und zieht augenblicklich ihre ganze Aufmerk­samkeit auf sich. „Lisa, würdest du mir bitte zuhören und antworten?“

„Ja, gleich.“ – „Nicht gleich! Jetzt!“

Ich bin lauter geworden. Lisa schaut mich mit großen Augen an: „Reg dich doch mal nicht so auf.“ Das hat mir gerade noch gefehlt! Habe ich nicht alles gegeben, um Streit zu vermeiden? Genug – ich kann auch anders. „Mein liebes Kind, ich habe noch gar nicht angefangen, mich aufzuregen, das kannst du aber gerne haben. Und zwar, wenn du jetzt nicht augenblicklich anfängst, dieses Dreckloch hier aufzuräumen. Dein Zimmer ist ekelhaft.“ Wie befreiend, ich komme richtig in Fahrt. Weit entfernt von jedem pädagogischen Anspruch schimpfe ich völlig entfesselt vor mich hin. „Die Teller auf deinem Schreibtisch gehören in die Küche. Stell dir vor, wir da unten brauchen auch Geschirr! Die Klamotten auf dem Fußboden gehen vor die Hunde, du kannst sie gerne selbst bezahlen. Die frische Wäsche dazwischen habe ich gefaltet und du schmeißt sie hier einfach in deinen Müll. Und schau dir doch mal die ekelhaften Essensreste an. Wenn ich den Kammerjäger bestellen muss, dann geht dafür das Taschengeld der nächsten drei Jahre drauf, nur dass du es weißt. Aufräumen! Jetzt! Ende der Ansage.“ Ich knalle die Tür zu. Ist doch wahr. Wie hält Lisa es in einem solchen Saustall aus? Da fragt man sich doch, was man falsch gemacht hat.

Eine Stunde später stehen wir in der Küche und bereiten das Abend­essen vor. Konstantin und ich decken den Tisch. Lisa macht gerade mit angewidertem Gesicht ihre Brotbox sauber. Recht so, denke ich boshaft und stelle Teller auf den Tisch. Mein Mann steht vor dem Kühlschrank. Er schüttelt genervt den Kopf. „Was ist?“, frage ich. „Dieser Kühlschrank ist das reinste Chaos… Alles einfach reingestopft. Und hinten vergammeln die Sachen.“ Das geht an mich. Aber er übertreibt maßlos. Völliges Chaos? Ansichtssache, denke ich und versuche zu beschwichtigen: „Echt? Findest du?“ Mein Mann schaut mich an, als würde er an meinem Verstand zweifeln. Er zieht einen alten unan­sehnlichen Käserest aus der hintersten Ecke und wedelt ihn vor sich her: „Das finde ich nicht, das ist so.“ Stille. Lisa schrubbt leise glucksend an ihrer Dose. Schließlich dreht sie sich zu mir um: „Cool, dann können wir uns den Kammerjäger ja teilen.“